"Kindesmisshandlung ist eine nicht zufällige (bewusste oder unbewusste) gewaltsame körperliche und/oder seelische Schädigung, die in Familien oder Institutionen (z. B. Kindergärten, Schulen, Heimen) geschieht, und die zu Verletzungen, Entwicklungsverzögerungen oder sogar zum Tode führt, und die somit das Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigt oder bedroht."
Definition Kindesmisshandlung

Neues

Nutzung eines Markers in der elektronischen Patientenkarte in Klinik und/oder Praxis zur Kennzeichnung eines "Risikokindes".

In jeder Klinik bzw. Praxis kann bei Erkennung eines Hochrisikokindes dieses in der elektronischen Patientenkarte besonders vermerkt werden. Dieses erleichtert bei Notfallterminen den Rückgriff auf bereits bekannte Risikobelastungen in der Vorgeschichte des Kindes und kann das weitere Vorgehen bestimmen.  Regulationsstörungen bei Kindern aus psychosozial belasteten Familien sind anders zu bewerten als bei einem Kind aus einer unauffälligen Familie.

Retrospektive Aufarbeitung von Kindesmisshandlungsfällen, Lernen aus Fehlern

Bei jedem eingetretenen Kindesmisshandlungs oder -vernachlässigungsfall sollten Vorgeschichte und Verlauf des Falles, Aktivitäten und Kooperationen der einzelnen Netzwerkpartner unter einem neutralen Moderator auf Augenhöhe aufgearbeitet und mögliche Fehler in der Kommunikation und Bewertung der Risikolage besprochen sowie das bisherige Vorgehen erörtert werden, was aus dem jeweiligen Fall eventuell gelernt werden kann.

 

Autor des Abschnitts "Früherkennung und Prävention von Kindeswohlgefährdungen in der frühen Kindheit":

Dr. Wilfried Kratzsch
Ltd. Oberarzt i.R. des Kinderneurologischen Zentrums der Sana Kliniken Düsseldorf
Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsches Forum Kinderzukunft


Bei der Nachverfolgung ist darauf zu achten, wie sich die Risikobelastungen auf die frühkindliche Entwicklung auswirken, möglicherweise zu einer zunehmenden Kindeswohlgefährdung führen und wie einer Gefährdung durch eine frühe Unterstützung der Familie und des Kindes bzw. Weiterleitung an geeignete Beratungsstellen vorgebeugt und Belastungen vermindert werden können.

Im Einzelnen wird das besondere Augenmerk auf folgende Punkte gelenkt:

  • Nachverfolgung der Risikobelastungen (Zu- oder Abnahme von Belastungen), Beachtung kritischer Lebensereignisse, wie Erkrankung, Tod von Familienmitgliedern, Trennung des Partners, Wahrnehmung zunehmender Überforderung, z. B. bei alleinstehenden Müttern, mangelnder Unterstützung, mangelnden Kontakten, Betreuung mehrerer Kleinkinder,
  • Beachtung und Nachverfolgung auffälliger Entwicklung und auffälligen Verhaltens im Säuglingsalter, Beachtung des Auftretens riskanter Entwicklungen, wie z. B. Regulationsstörungen, Verhaltens- und Entwicklungsstörungen,
  • Beachtung und Nachverfolgung chronischer Erkrankungen, insbesondere Infekte der oberen Atemwege, beginnender Behinderungen,
  • Bei Auftauchen von Kindern mit Schrei-, Fütter-, Schlafstörungen und unklaren Verletzungen in der Notfallambulanz, z. B. der Kinderklinik, Beachtung möglicher Risikobelastungen und eines auffälligen Vorsorgeverhaltens, eventuell Rückgriff auf stationäre Befundberichte, Basis-Risikoscreeningbogen in der Geburtshilfe zur Sichtung psychosozial auffälliger Befunde und gesundheitlicher Risikobelastungen,
  • Beratung zum "plötzlichen Kindstod" (Flyer) 15), Schüttelhirntrauma (Flyer) 16),
  • früher Hinweis oder Weiterleitung an eine Schreiambulanz, gegebenenfalls stationäre Aufnahme bei Fütterstörungen,
  • Kooperation mit Koordinatorin im Krankenhaus, den Frühen Hilfen der Jugendhilfe, Clearingstelle,
  • bei Abbrüchen von Kontakten und Therapien Nachhaken und "am Ball bleiben",
  • bei beginnenden Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten frühzeitige Weiterleitung an Frühförderung und Sozialpädiatrisches Zentrum,
  • interdisziplinärer Austausch zwischen Klinik, ärztlicher Praxis, Hebamme, Gesundheitsamt, Jugendhilfe vor oder bei Eintritt einer Kindeswohlgefährdung,
  • bei akuten Zeichen einer Kindeswohlgefährdung Kontakt und Intervention durch das Jugendamt, gegebenenfalls mit Inobhutnahme.


Etablierung früher Unterstützung und früher Hilfen:

  • Einsatz niedrigschwelliger aufsuchender Dienste, wie Hebamme/Familienhebamme, sozialmedizinische Assistentinnen des Gesundheitsamtes von Anfang an, beginnend in der Geburtshilfe,
  • Familienentlastung durch Haushaltshilfe über die Krankenkasse, Verordnung erfolgt über den Arzt,
  • Hinweis auf präventive und gesundheitsfördernde Leistungen der GKV und PKV, § 20 SGB V (11): Raucherentwöhnung, Suchtprävention, stressreduzierende Maßnahmen, Ernährungsberatung (z. B. bei übergewichtigen Müttern),
  • Hinweis auf finanzielle Unterstützung durch die „Mutter-Kind-Stiftung“ während der Schwangerschaft durch die Schwangerenberatungsstellen oder zum Zeitpunkt der Geburt in der Geburtsklinik,
  • Kontakt zu den „Frühen Hilfen“ des Jugendamtes bzw. Jugendhilfeträger, gegebenenfalls Einsatz einer Haushaltshilfe, einer sozialpädagogischen Familienhilfe, Schuldnerberatung und anderes mehr,
  • Hinweis auf Elternkurse, Müttercafe,
  • Hinweis auf Kurse zur Bindungsförderung, Safe 12), "Steep" 13), entwicklungspsychologische Förderung 14),
  • bei Überforderung zu Hause und fehlender Entlastung Hinweis auf die Möglichkeit einer frühen Aufnahme für Säuglinge ab sechs Monaten in die Kindertagesstätte, Familienzentrum,
  • interdisziplinärer Austausch der einbezogenen Stellen, Bestimmung eines Koordinators bzw. Casemanagers.

 


Vorgehen bei Aufenthalt in der Geburtshilfeklinik oder Kinderklinik und in der ärztlichen Praxis:

  • Anamneseerhebung: bei Stichwörtern mit Hinweisen auf Risikobelastungen sollte ein weiterführendes, eingehendes Gespräch über die gesundheitlichen und psychosozialen Belastungen/Überforderungen geführt werden,
  • Erhebung der Risikobelastungen durch Einsatz des Basis-Risikoscreeningbogens (Risikobogen I, s. 8.1 Dokumentation),
  • Beurteilung der Mutter-Kind Interaktion auf der Wöchnerinnenstation, in der Kinderklinik, ärztlichen Praxis (Risikobogen II, s. 8.1 Dokumentation), Beurteilung der Eltern/Kind Bindung (siehe unter 8.2,
  • Beachtung von Schutzfaktoren (Risikobogen II, s. 8.1 und 8.2 Dokumentation),
  • Einstufung der Risikolage (Risikobogen I und II, s. 8.1 Dokumentation): Einstufung der Risikolage kann fließend sein, ist abhängig vom Ausmaß der jeweiligen Risikobelastung, z. B. sind chronische psychische Belastungen bzw. akute Psychosen unterschiedlich zu bewerten,
  • Monitoring früher Hilfen, Nachverfolgung der frühkindlichen Entwicklung (Risikobogen III, IV und V, s. 8.1 Dokumentation),
  • Beachtung des Vorsorgeverhalten während des ersten und zweiten Lebensjahres, des Nicht-Einhaltens von Vorsorgeterminen bei der U3, U4, U5, U6, U7, "Ärztehopping", häufiger Wechsel der Arztpraxen (Risikobogen IV, V und VI, s. 8.1 Dokumentation).

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