"Seelische oder psychische Gewalt sind "Haltungen, Gefühle und Aktionen, die zu einer schweren Beeinträchtigung einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Bezugsperson und Kind führen und dessen geistig-seelische Entwicklung zu einer autonomen und lebensbejahenden Persönlichkeit behindern."
EGGERS, 1994

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Eröffnungsgespräch vorbereiten

Wird der Verdacht auf Kindesmisshandlung oder Missbrauch bestätigt, sollte die Diagnose im Gespräch mit den Eltern oder ggf. Begleitpersonen eröffnet werden (HUTZ 1994/95; KOPECKY-WENZEL & FRANK 1995). In Fällen sexueller Misshandlung, akuter Gefährdung des Kindes bei körperlicher Gewalt oder extremer, lebensbedrohender Vernachlässigung muss vor einem solchen Gespräch der Schutz des Kindes vor weiteren Übergriffen oder einer Eskalation unbedingt sichergestellt sein. Die vernetzte Kooperation mit der öffentlichen Jugendhilfe oder spezialisierten Beratungsstellen kann hierbei eine wichtige Hilfestellung sein.

Eröffnungsgespräch vorbereiten

Am besten wird das Gespräch mit der Darstellung der Befunde begonnen, die der Arzt bei dem Kind beobachtet hat. Die Symptomatik des Kindes bietet eine Möglichkeit, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen ("Ihr Sohn macht schon seit längerer Zeit einen sehr ängstlichen Eindruck auf mich. Haben Sie eine Vorstellung, woran es liegen kann?"). Manchmal wird in der Sprechstunde festgestellt, dass ein Kind, das wegen Husten vorgestellt wird, mehrere Hämatome aufweist. In diesen Fällen sollte den Eltern diese Befunde unbedingt mitgeteilt werden und mit ihnen über mögliche Ursachen geredet werden.


Durch Kontaktaufnahme mit den Allgemeinen Sozialen Diensten und den Jugendpsychiatrischen Diensten können weitere Einschätzungen zur Beurteilung einer Verdachtsdiagnose eingeholt werden. Die Mitarbeiterinnen erhalten u. a. durch Hausbesuche Informationen über das soziale Umfeld der Kinder. Die in Bezirken organisierten Stellen besitzen im Rahmen ihrer Tätigkeiten möglicherweise Fallkenntnis.

Anzeige eines Gewaltdeliktes sorgfältig abwägen

Bei Anzeichen für ein Gewaltdelikt muss der Arzt sorgfältig abwägen, ob er sich zunächst an die Sozialen Dienste wendet oder Anzeige erstattet. Die ärztliche Entscheidung sollte davon abhängig gemacht werden, wie die Gefahr weiterer Schädigungen dieses Kindes oder anderer Kinder einzuschätzen ist. Wenn keine Gefahr im Verzug ist, sollte ein Verdacht zuerst gegenüber den Sozialen Diensten geäußert werden.

Information über Vormundschaftsverhältnisse einholen

Familiengerichte stehen auch für allgemeine juristische Auskünfte bereit. Insbesondere bei Ehen mit ausländischen Partnern kann eine Information zu Sorgerechtsfragen hilfreich sein. Eine Rückfrage beim zuständigen Familiengericht ist ebenfalls angezeigt, wenn die Vormundschaft geklärt werden soll und die Begleitperson des Kindes eine entsprechende Bestallungsurkunde nicht vorweisen kann.

Art und Umfang der Informationsweitergabe persönlich vereinbaren

Inhalt, Umfang und Anlass der Weitergabe von fallbezogenen Informationen zwischen der Arztpraxis und den Allgemeinen Sozialen Diensten oder Beratungsstellen freier Träger sind mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der entsprechenden Einrichtungen möglichst persönlich zu vereinbaren. Seitens der kooperierenden Einrichtungen werden zunächst Informationen über die Entwicklung des Gesundheitszustandes des Kindes vom behandelnden Arzt erwartet. Die Informationsvereinbarung kann z. B. die Mitteilung über einen Abbruch des Kontaktes zwischen Ihnen und dem betreuten Kind umfassen.

 


 

Information behördlicher Stellen auch ohne Einverständnis der Eltern möglich

Die Information von Behörden oder Beratungseinrichtungen freier Träger sollte grundsätzlich mit dem Einverständnis der Eltern des Kindes erfolgen. Behördliche Stellen können auch ohne dieses Einverständnis einbezogen werden, wenn das Wohl des Kindes aufs höchste gefährdet ist.

Dieses ist zu veranlassen, wenn:

  • das aktuelle Ausmaß der gesundheitlichen Schäden die sofortige Herausnahme des Kindes aus seiner häuslichen Umgebung erfordert oder
  • beim Verbleib in der häuslichen Umgebung eine akute Gefahr für die Gesundheit, das Leben (z. B. durch Suizid) und die geistige Entwicklung des Kindes droht.

Falldokumentation für eventuelle gerichtliche Beweissicherung

Neben einer ausführlichen Dokumentation der Anamnese wird eine Dokumentation der Aussagen von Eltern/Begleitpersonen einschließlich ergänzender Eindrücke empfohlen. Die Dokumentation kann durch Fotos der äußeren Verletzungen des Kindes ergänzt werden. Entsprechende Dokumente sind möglicherweise Grundlage für eine gerichtliche Beweissicherung.

Eine ausführliche Dokumentation ist der Nachweis, dass eine mögliche Veranlassung behördlicher Maßnahmen durch den Arzt auf sorgfältiger Abwägung der Situation des Kindes beruht. Im Download-Bereich finden Sie eine Vorlage zur Strukturierung der Dokumentation.

 


Ganzkörperuntersuchung durchführen

Nach Möglichkeit sollte nur eine ausführliche Untersuchung des Kindes durchführt werden. Beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch an Mädchen erfolgt diese Untersuchung idealerweise durch eine Kindergynäkologin oder einen Kindergynäkologen. Die Untersuchung ist in jedem Fall als Ganzkörperuntersuchung durchzuführen.

Dem Kind Sicherheit geben

Wichtig ist hierbei ein kindgerechtes Untersuchungsverhalten. Die Symptomsuche sollte in unauffälliger Form erfolgen. Der Arzt sollte hier immer auch das Positive der Untersuchung hervorheben. Dem Kind soll bestätigt werden, dass es grundsätzlich gesund ist. Ziel ist es, dem Kind die Sicherheit zu vermitteln, dass es über seine Gewalterfahrungen frei sprechen kann.

Vertrauen aufbauen

Für eine erfolgreiche Prävention weiterer Gewalt ist es wichtig, dass die Arztpraxis eine vertrauensvolle Situation gegenüber Eltern oder Begleitpersonen schafft. Nur so können die behandelnden Ärzte ihre Vertrauensstellung im Sinne des Fallmanagements einsetzen.

Auf folgendes sollte der behandelnde Arzt dabei achten:

  • Es muss deutlich gemacht werden, dass sich der Arzt um die Gesundheit des Kindes sorgt.
  • Wertende Haltungen gegenüber Eltern oder potentiellen Tätern sollen vermieden werden.
  • Es sollen keine Beratungen und Therapien angeboten werden, die von der Arztpraxis selbst nicht geleistet werden können.
  • Nach Möglichkeit sollte eine gemeinsame Entscheidung zur Inanspruchnahme oder Information von Beratungsstellen und Allgemeinen Sozialen Diensten mit der Familie herbeigeführt werden.

 

Sofern eine Kontaktaufnahme zu den Allgemeinen Sozialen Diensten oder Beratungseinrichtungen notwendig wird, sollten Eltern oder Begleitpersonen über diesen Schritt vom Arzt informiert werden. Ziel der Gespräche ist es, bei Verdacht auf Misshandlung oder Missbrauch des Kindes Vorbehalte oder Bedenken seitens der Eltern bzw. Begleitpersonen gegenüber der Inanspruchnahme einer speziellen Beratungseinrichtung oder der Allgemeinen Sozialen Dienste abzubauen.

Persönliche Kenntnis der empfohlenen Einrichtungen wichtig

Die Kontaktaufnahme zu den Beratungsstellen freier Träger ist zu empfehlen, wenn die persönliche Problembewältigung der Familie im Vordergrund steht und keine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Allgemeine Soziale Dienste sind zu empfehlen, wenn es um die Bewilligung sozialer Hilfen geht oder bereits eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann. In Fällen sexuellen Missbrauchs sollte in jedem Fall Beratung durch Fachleute vermittelt werden. Im Internet finden Sie die aktuelle Fassung des Paragraphen 8a im SGB VIII "Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung" .

 


Bei der Erstuntersuchung steht die Befunderhebung und -sicherung einschließlich einer Befragung der Eltern oder Begleitpersonen im Vordergrund. In diesem Zusammenhang sollte auch nach dem vorbehandelnden Arzt gefragt werden. Jedes Kind mit einer Verdachtsdiagnose "Misshandlung" oder "Missbrauch" sollte in kurzen Abständen wieder einbestellt werden. In schweren Fällen ist die Einweisung in eine Klinik angezeigt.

Manchmal reicht die Diagnostik in der Arztpraxis insbesondere bei Verdacht auf eine Vernachlässigung des Kindes nicht aus. In diesem Fall sollten sich der behandelnde Arzt durch einen Hausbesuch über die Wohnsituation und das familiäre Umfeld des Kindes informieren.

Die Zeit bis zur Wiederholungsuntersuchung kann genutzt werden, um durch Rückfragen beim vorbehandelnden Arzt, bei Kollegen oder speziellen Beratungseinrichtungen zusätzliche Sicherheit in der Diagnosestellung zu gewinnen. Beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch von Mädchen durch penetrierende Sexualpraktiken wird eine Überweisung an eine gynäkologische Praxis zur kindergynäkologischen Untersuchung empfohlen.

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