Gemeinsames Fallmanagement beruht in hohem Maße auf einem verantwortungsvollen Austausch von Informationen zwischen der behandelnden Arztpraxis, Kollegen/innen, Allgemeinen Sozialen Diensten, Psychologen/innen, Kinder- und Jugendpsychiatern/innen, Gesundheitsämtern und Beratungseinrichtungen. Die Kontakte zwischen den Akteuren sind umso effektiver, je schneller gegenseitige Rückmeldungen über Ergebnisse der weiteren Behandlung des Falls durch die jeweilige Einrichtung erfolgen.
Die hohen Anforderungen des Praxisalltags können mitunter dazu führen, dass Informationsabsprachen trotz bester Absichten nicht eingehalten werden. In diesem Fall können regelmäßige Kooperationstreffen eine leicht organisierbare Möglichkeit zum Austausch von Informationen und Erfahrungen sein.
Sowohl die Fallarbeit als auch der präventive Ansatz erfordern ein hohes Maß an Einsatz und Energie. Der niedergelassene Arzt hat jedoch die Möglichkeit, durch eine längerfristige Betreuung den Verlauf und Erfolg seiner Bemühungen zu sehen.
Zum Zeitpunkt des Praxisbesuchs meist keine unmittelbare Gefahr für das Kind
Zum Zeitpunkt des Praxisbesuchs ist eine unmittelbar abzuwendende Gefahr für das Kind, von Ausnahmen abgesehen, meist nicht gegeben. Um besonders in Krisensituation angemessen zu reagieren, sollte der Arzt sein Verhalten an folgenden Überlegungen ausrichten:
- Bei den meisten in der Arztpraxis vorgestellten Fällen von Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung ist ein sofortiges Handeln nicht erforderlich.
- Im Notfall (Gefahr für Leben, Suizidgefahr, Gefahr der unkontrollierbaren Gewaltbereitschaft, Eskalation von Familienkonflikten vor oder an Wochenenden) besteht immer die Möglichkeit des Einschaltens der Polizei.
Abgestufte Reaktion auch im Gefahrenfall möglich
Selbst in den Fällen, die ein sofortiges Eingreifen erfordern, ist entsprechend der Gefahrenbewertung eine abgestufte Reaktion möglich:
- Kontaktaufnahme mit dem Kinder- und Jugendnotdienst des Amtes für Jugend.
- Krankenhauseinweisung.
- Kontaktaufnahme mit den Allgemeinen Sozialen Dienste.
- Einschaltung der Polizei.
Die entsprechenden Maßnahmen sind gegenüber den Eltern bzw. den Begleitpersonen des Kindes eindeutig zu begründen ("Ich muss jetzt die Allgemeinen Sozialen Dienste anrufen, weil ...").
In der Praxis auftretende Krisenfälle können durch einfache Maßnahmen (z. B. ein kurzes Erstgespräch, die Bitte um Aufenthalt im Wartezimmer, die Ablenkung durch Zeitschriften oder andere Medien, eine zwischenzeitliche Informationseinholung bei einer Kollegin oder einem Kollegen oder Kooperationspartner, ein ausführliches Wiederholungsgespräch) entschärft werden.
Die Einschätzung einer unmittelbaren Gefahrensituation für das Kind muss von Ihnen grundsätzlich in eigener Verantwortung vorgenommen werden. Sofern der Fall erstmalig in der Praxis vorstellig wird, ist das Einbeziehen weiterer Stellen aus Zeitgründen meist nicht möglich. Diese Situation ist jedoch selten.
Die Anonymisierung des Falls stellt eine Möglichkeit dar, sich ohne Verletzung der Schweigepflicht kompetenten Rat einzuholen. Zu beachten ist hierbei, dass eine Anonymisierung nicht immer dadurch erreicht wird, dass man den Namen der Betroffenen nicht nennt, da in manchen Fällen für die Identifizierung bereits die Schilderung der Umstände ausreichend sein kann.