"Die durch Vernachlässigung bewirkte chronische Unterversorgung des Kindes durch die nachhaltige Nichtberücksichtigung, Missachtung oder Versagung seiner Lebensbedürfnisse hemmt, beeinträchtigt oder schädigt seine körperliche, geistige und seelische Entwicklung und kann zu gravierenden bleibenden Schäden oder gar zum Tode des Kindes führen."
SCHONE, 1997

Neues


Die folgenden Empfehlungen für ein gemeinsames Fallmanagement wurden im Rahmen von Kooperationstreffen zwischen niedergelassenen Ärzten und sowie weiteren Hilfeeinrichtungen und Behörden entwickelt. Diese Empfehlungen gehen über Diagnostik und Befundsicherung hinaus.

Gewaltprävention als Ziel des gemeinsamen Fallmanagements

Gemeinsames Fallmanagement beruht bei guten Rahmenbedingungen auf persönlichen Kontakten zwischen Arztpraxen, Allgemeinen Sozialen Diensten, Gesundheits- und Umweltämtern, Beratungsstellen öffentlicher und freier Träger, spezialisierten Krankenhausabteilungen und weiteren Einrichtungen, die sich mit dem Problem Gewalt gegen Kinder befassen. Einen Rahmen zum Aufbau entsprechender Kontakte bieten regionale Kooperationsgruppen.

Grundlage für ein gemeinsames Fallmanagement sind Kenntnisse in der Arztpraxis über entsprechende Beratungs- und Hilfeangebote. Die Angebote müssen für die Eltern oder Begleitpersonen des Kindes erreichbar sein. Hierzu bietet der Leitfaden und der Adressteil im Servicebereich der Website eine Hilfe.

Darüber hinaus ist es wichtig, die persönliche Haltung zum Problem Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch kritisch zu prüfen. Der Kontakt zu Opfern und möglichen Tätern erfordert einen vorurteilslosen Umgang mit dem Problem. Die Aufgabe als behandelnder Arzt ist es, die nach einem Erstkontakt mit der Diagnose "Verdacht auf Gewalt gegen Kinder" möglicherweise gefährdete Arzt-Patienten-Beziehung zu stabilisieren.

Nur so ist ein gemeinsames Fallmanagement in Kooperation zwischen Arzt, Allgemeinen Sozialen Diensten und spezialisierten Beratungseinrichtungen möglich.

Verifizieren der Verdachtsdiagnose

Alle erhobenen Befunde müssen zusammenfassend bewertet werden. Die Diagnose soll den körperlichen und psychischen Befund des Kindes, die familiäre Interaktion und die Familiensituation beschreiben. Es soll festgestellt werden, ob ein Kind normal entwickelt ist, ob Auffälligkeiten in seiner Entwicklung bestehen und ob diese behandlungsbedürftig sind.

Bei einem Verdacht zuerst Vertrauen schaffen

Wenn der Verdacht noch nicht ganz abgesichert ist, sollte es der Arzt zunächst vermeiden, mit der Familie bzw. den Eltern darüber zu sprechen. Wichtiger ist zunächst, das Vertrauen der Familie zu gewinnen. Das Kind sollte häufiger wieder einbestellt werden, damit sowohl zum Kind als auch zu den Eltern eine positive Beziehung aufgebaut werden kann. So stehen Sie weiterhin dem Kind und der Familie beratend zur Seite und können den Gesundheitszustand des Kindes beobachten. Es gibt keine allgemeingültige Grenze, bei der unbedingt eingeschritten werden muss. Diese Entscheidung kann der Arzt jedoch nur im Einzelfall nach Abwägung der Risiken treffen.

Unterstützung durch ein zweites Urteil bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch

In einigen Fällen kann die Einholung eines zweiten Urteils erforderlich sein. Insbesondere bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch kann der behandelnde Arzt an die Grenzen seiner diagnostischen Möglichkeiten gelangen. Dann sollte auf die Konsiliaruntersuchung von Kindergynäkologinnen zurückgegriffen werden. Dabei muss allerdings abgewägt werden, ob dem Kind eine gynäkologische Untersuchung zuzumuten ist. Grundsätzlich sollten möglichst wenige Untersuchungen stattfinden.

Zusammenarbeit mit anderen Professionen

Bei der Hinzuziehung von psychologischen und sozialpädagogischen Sachverstand, können Verhaltensauffälligkeiten eher in Zusammenhang mit der Diagnose gebracht werden. Kooperationen zwischen den Ärzten und entsprechenden Professionen sind daher anzustreben.


Beobachtungen bei Eltern und Begleitpersonen

Um einen Verdacht auf Kindesmisshandlung zu erhärten, kann der Arzt durch Beobachten der Eltern oder Begleitpersonen weitere Hinweise erhalten. Eltern, die ihr Kind misshandelt haben, verhalten sich in vielerlei Hinsicht anders als Eltern, deren Kinder durch einen Unfall verletzt wurden. So lehnen manche Eltern eine adäquate Behandlung oder weitergehende Untersuchungen ab, obwohl dieses dringend angezeigt wäre. Viele Eltern berichten zudem widersprüchlich von dem "Unfall", der sich zugetragen haben soll.

Unangemessene Reaktionen der Eltern

Die Reaktion der Eltern kann der Verletzung nicht angemessen sein. Sie ist entweder übertrieben oder untertrieben. Manchmal klagen Eltern im Detail über Belanglosigkeiten, die in keinem Zusammenhang zur Verletzung stehen.

Umgang der Eltern mit dem Kind

Ein Kind kann deutliche Anzeichen von Pflegemangel und Unterernährung aufweisen, die Eltern stellen sich jedoch als perfekte Eltern dar. Der Entwicklungsstand des Kindes kann nicht altersgerecht sein, wobei die Eltern dies aber nicht berücksichtigen. Der Umgang mancher Eltern mit dem Kind kann ständig lieblos oder überfordernd sein oder die Erwartungen an das Kind sind völlig unrealistisch. Gegebenenfalls werden Erregungszustände oder ein Kontrollverlust bei den Eltern beobachtet.



Anamneseerhebung im sozialen Nahbereich

Im Rahmen der Anamneseerhebung sollten sich der behandelnde Arzt unbedingt auch ein Bild bezüglich des Vorkommens von Belastungsfaktoren im sozialen Umfeld des Kindes bzw. Jugendlichen machen.

Hierbei können Fragen zur Familiensituation helfen:

  • Wer gehört zur Familie?
  • Ist jemand weggegangen (Todesfall, Partnerverlust, Trennung) oder dazugekommen (Geschwisterkind, neuer Partner)?
  • Wen gibt es sonst noch an Angehörigen?
  • Wie geht es den Eltern, der Mutter?
  • Wie kommt die Mutter mit dem Kind (den Kindern) zurecht?
  • Gibt es Konflikte in der Familie (mit dem Kind, Partner, Alkohol, Schulden)?
  • Hat das Kind schulische Probleme?
  • Wie ist die Wohnsituation?
  • Gibt es Spielsachen für das Kind, hat es ein eigenes Bett?
  • Wie ist der Kontakt zu Angehörigen?
  • Gibt es Nachbarn, Freunde, Bekannte, an die man sich auch im Notfall wenden kann?
  • Wer hat die bisherigen Vorsorgeuntersuchungen gemacht?
  • Haben die Eltern oder das Kind Kontakt zum Jugendamt oder Beratungsstellen?

Hausbesuch

Bei einem Hausbesuch kann der Arzt den Lebensraum des Kindes beurteilen. Der niedergelassene Arzt hat gegenüber dem Klinikarzt den Vorteil, die soziale Situation und die Lebenssituation des Kindes zu sehen und in seine differentialdiagnostischen Überlegungen mit einfließen zu lassen.


Bei sexuellem Missbrauch gibt es kaum eindeutige Symptome, deshalb sollten immer Differentialdiagnosen aufgestellt werden. Zu den oben beschriebenen Verhaltensweisen werden weitere Verhaltensauffälligkeiten beobachtet.

Diese Symptome sind ebenfalls unspezifisch und müssen weiter abgeklärt werden:

Gestörtes Essverhalten, Schlafstörungen, Rückfall in ein Kleinkindverhalten (Regression), Weglaufen von zu Hause, Distanzlosigkeit, sexualisiertes Verhalten, Ablehnung des eigenen Körpers, Sexualstörungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Affektlabilität, Depressivität, erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, Albträume, unklare Angstzustände, Schmerzen (z. B. Bauchschmerzen), Sprachstörungen, Stehlen und anderes delinquentes Verhalten, Beziehungsschwierigkeiten, Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Konversionssyndrome.

Körperliche Symptome

Unterleibsverletzungen und Geschlechtskrankheiten bei Kindern, wie z. B. Gonorrhoe, sollten immer als Hinweise auf sexuelle Gewalt betrachtet werden. Entzündungen im Genitalbereich sind kein primäres Anzeichen für Missbrauch, da unspezifische Infektionen durch Darmbakterien sind relativ häufig sind. Spezifische Infektionen z. B. durch Trichomonaden oder Candida kommen dagegen bei Mädchen vor der Pubertät sehr selten vor, wenn kein sexueller Missbrauch vorliegt. Condylomata accuminata sind mit großer Wahrscheinlichkeit eine Folge von Missbrauch.

Außerdem sind Hämatome und Bisswunden im Genital- und Analbereich ein Zeichen von sexueller Gewalt. Allergien und Hautkrankheiten mit atypischem Verlauf (Pyodermien, Exzeme) können ebenfalls auf sexuellen Missbrauch hindeuten. Sehr oft jedoch ist sexueller Missbrauch bei der körperlichen Untersuchung nicht diagnostizierbar.


 

Die beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten sind keineswegs Beweise für eine Misshandlungs- oder Vernachlässigungssituation. Sie dienen allenfalls als Hinweise und können selbstverständlich auch andere Ursachen haben. Der behandelnde Arzt sollte allerdings bei diesen Befunden "körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt gegen das Kind" bzw. "belastende Lebensumstände" in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbeziehen.

Suggestivfragen vermeiden

Sollte es zu einem Gespräch mit dem Kind oder einer Betreuungsperson über den Verdacht auf Misshandlung bzw. Missbrauch kommen, ist für ein eventuell folgendes Strafverfahren vor allem folgendes wichtig: Jede Befragung des Kindes, insbesondere eine suggestive Befragung, kann bezüglich einer späteren Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Kindes äußerst problematisch sein. Deshalb sollte in Ihrem Gespräch alles unterlassen werden, was als Suggestivfrage gewertet werden könnte. Wenn sich das Kind von sich aus mitteilt, so sollten dessen eigene Angaben schriftlich, wenn möglich wörtlich niedergelegt werden.

Sorgfältige Dokumentation notwendig

Das Ergebnis der Untersuchung sollte - auch zur Sicherung von Beweisen für ein etwaiges Strafverfahren - sorgfältig dokumentiert werden. Zu diesem Zweck wird insbesondere auf die Untersuchungsbögen im Download-Bereich hingewiesen

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